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29. März 1986

Gigantisches Osterfeuer und ein bisschen Nervenkitzel

Zu den traditionellen Festen im Müden (Örtze) gehört das gigantische Osterfeuer auf dem Eitzberg. Schon Wochen vorher sammeln die Dörfler geeignetes Brennmaterial von sonst wo her: Baumschnitt, Abbruchholz, Paletten, Fensterrahmen, Farbreste, Plastikfolie und Metallkanister mit Altöl!

Unterstützung gibt es von den ersten Urlaubern, die sich in die Heide trauen, um dem Spektakel beizuwohnen. Auch Mitte der 1980er-Jahre nächtigen sie in „Fremdenzimmern“, die alsbald zu Ferienwohnungen um tapeziert werden.

Natürlich muss der Scheiterhaufen gut bewacht werden, denn Spaßvögel aus den Nachbardörfern trachten danach, den Feuerzauber vorzeitig zu entfachen. Die Jugendsparte der Freiwilligen Feuerwehr kann während des Wachdienstes ihre Kenntnisse über die heimische Vogelwelt aus eigenen Erleben erweitern. Einige vorwitzige Vögel nutzen die gut versteckten Hohlräume als Nistplatz – Keine gute Idee!

Die feier- und feuer freudige Dorfgemeinschaft zieht am Ostersamstag in einer langen Prozession vom Feuerwehrgerätehaus in der Ortsmitte in Richtung Sonnenberg, wo bereits die künstliche Sonne mit viel dunklem Qualm und Geknacke aufgeht.

Ist das Brennmaterial noch zu feucht, hilft die Feuerwehr mit flüssigen Brandbeschleunigern oder speziellen Tinkturen nach.

Der Einsatzbefehl lautet an diesem Abend: Feuermachen und Durstlöschen. Hausbesuche zum Feuerlöschen bei wildfremden Leuten sind da nicht mehr drin.

Hunger und Durst der Feiernden bekämpfen die Uniformierten wahlweise mit Pommes, Bockwurst, Steak, Wasser, Cola und Bier. Der Nachschub wird in großen Zelten gebunkert und an langen Reihen von Klapptischen zu fairen Preisen verkauft.

Bewurstet, becolat und bebiert stehen die Leute ums größer werdende Feuer. Bevor die Kleidung brennt oder die Haare verschmoren, dreht man sich langsam um die eigene Achse – wie Billigfleisch am Dönerspieß! Die Uncoolen gehen einfach ein paar Schritte zurück, um der Affenhitze zu entkommen.

Bunte Flammen züngeln aus dem lodernden Haufen; Chemiker oder Plasmaphysiker können aufgrund der Färbung Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Brandgase ziehen. Hin und wieder bereichert das Fauchen, Zischen und Explodieren einer halbvollen Haarspray- oder Lackdose die Geräuschkulisse.

Der beste Freund der Landmaschinenhändler und Werkstätten

Der Erfinder des Formel-1-Pflügens Hermann T. jun. muss natürlich zeigen, was er und sein neuer Trecker mit Allrad-Antrieb so drauf haben. Er gibt seinem Deutz die Peitsche und die geknechtete Maschine schiebt den brennenden Berg mit ihrer großen Schaufel am Frontlader zusammen. Die Funken stieben meterhoch in den Nachthimmel und bieten einen Vorgeschmack auf das Feuerwerk zum Müdener Markt.

Nicht wenige hoffen darauf, dass sich der tollkühne Jungbauer überschätzt und die gequälte Zugmaschine mit brennenden Reifen die Flucht ergreifen muss, bevor der explodierende Dieseltank dem Treiben ein jähes Ende bereitet. Aber die Wette mit dem Schicksal geht immer zu Gunsten des stets auf maximalen Verschleiß wirtschaftenden Landwirtes aus.

In Süddeutschland gehört es ja in manchen Regionen zum Kulturgut, brennende Reifen den Berg runter rollen zu lassen. Okay, ein ganzer Trecker ist dann nicht mit dran geschraubt.

Gepflegte Unterhaltung und Schatzsuche

Die Gespräche ändern sich mit steigendem Alkoholpegel – von Alltagsgeplauder wechseln die Themen zum Grundsätzlichen. Aus Gesprächen werden im Laufe der Nacht weltanschauliche Monologe. Der wahre Charakter zeigt sich erst nach dem 7. Bier und bestätigt die alte Volksweisheit „Trinkermund tut Wahrheit kund“.

Für die Dorfkinder ist der Spaß noch lange nicht vorbei, denn der gewaltige Haufen hinterlässt eine beträchtliche Menge glühender Asche. Was für ein Spaß ist es, größere Metallbeschläge, Schrauben, Dosen und jede Menge krummer Nägel zu sammeln. Erst nach einigen Tagen erkaltet die Asche und die ständige Gefahr eines Hausbrandes durch Funkenflug ist gebannt.

Aber das ist alles lange her: Heute ist der große Feuerberg zu einer größeren Feuerschale geschrumpft; keine Feuerwache, kein Anmarsch zum Festplatz, keine Zelte. Gefeiert wird direkt beim Feuerwehrgerätehaus. Das Mystische und Gefährliche lebt nur noch in den Erzählungen der Zeitzeugen weiter. Schade eigentlich!

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