Mordfliege, Waldameise und Co. – Fundstücke des Jahres 2024

Kristina Basenau und Jürgen Eggers – NABU Hermannsburg/Faßberg e.V.

Böse Zungen behaupten: „Auf dem Land ist doch nix los!“. Noch bösere Zungen legen noch eine Schippe drauf: „Und es wird sich auch nie nichts ändern!“. Okay, in den wuseligen Großstädten gibt es von allem mehr: Mehr Tankstellen, mehr Autoabgase, mehr Werbeplakate, mehr Spielotheken, mehr Hundehaufen und mehr Lärm.

Wer zwischen Düsseldorf und Köln wohnt, kann tagein und tagaus der „Rheinischen Brandung“ lauschen. Anders als an den Küsten von Nord- und Ostsee sorgen hier nicht Wasserwellen für das Dezibel-Getöse, sondern Autos und Lastwagen, auf den stets naheliegenden Autobahnen.

Bei uns in der Südheide ist die nächste Autobahn meilenweit entfernt. Allerdings versorgen uns an Schönwetter-Wochenenden schwarzbelederte und schutzbehelmte Fahrtwindjunkies auf ihren chromblitzenden Knatterböcken mit reichlich Krach und Gestank, wenn sie über kurvige Landstraßen zur nächsten Eisdiele brettern.

Aber sonst ist es in unseren „Oasen der Stille“ so leise, dass man seinen eigenen Herzschlag hören kann. Und wer genau hinschaut, entdeckt Erstaunliches in Feld, Wald und Flur.

Manchmal erleben wir auf unseren Touren regelrechte Krimis, Mordfälle und Raubzüge. Die Natur ist nicht nur ein Ort der Entspannung: Täglich gibt es Kriege, Morde und andere Krimis. Tollwütig erscheinende Bäume, Ameisenkriege um den begehrten Zuckersaft, Raubfliegen messen sich mit Jagdspinnen, wer wohl der effektivste Beutegreifer ist.

Also schnell die Wanderschuhe schnüren, Proviant in den Rucksack und raus in die Natur, wo die kleinen Entdeckungen jeden Spaziergang zum Erlebnis machen.

Zwei Personen stehen neben einer großen Pappel mit Farnzweigen in den Händen
Jürgen Eggers und Kristina Basenau
Foto: Jürgen Eggers

Regen, viel Regen und noch mehr Regen ...

Januar: Von Oktober bis Anfang Januar zeigte sich der Himmel meist trüb im Farbspektrum von asch- über blei- bis schiefergrau. Die jeweils diensthabenden Tiefdruckgebiete mit so gewöhnlichen Namen wie Wolfgang, Knud und Bruno schaufeln unablässig triefnasse Regenwolken über den Atlantik in unsere Gefilde. Hier angekommen, können sie ihr Wasser nicht halten und regnen ab. Graupel, Hagel, Eisregen und Schnee sorgen für ein wenig Abwechslung.

Während im Jahr 2022 bei uns nur 570 mm Niederschlag registriert wurden, waren es im vergangen Jahr 1050 mm, was einer bemerkenswerten Steigerung um 84 % entspricht. Ein Vergleich veranschaulicht die trockene Statistik: Otto Normalverbraucher (178 cm, 72 kg, IQ 100) stünde das Wasser 2022 bis zu den Kniegelenken, 2023 bis zum Bauchnabel.

Während von April bis September ein Großteil des Regens schnell ungefragt verdunstet, füllt er im Winterhalbjahr die Grundwasservorräte kräftig auf. Die Wassermassen der vergangenen Monate haben die Böden jedoch komplett gesättigt und fließen nun oberirdisch ab. Ergebnis: Flüsse treten über die Ufer und überfluten die Talauen. Bei einem Waldspaziergang durch das Tal der Wietze oberhalb von Müden (Örtze) fädelt sich allmählich ein glucksendes Plätschern in unsere Ohren. Der Randgraben der Feuchtwiese ist zu einem quicklebendigen Bach angeschwollen. Ein schöner Anblick!

Das Hochwasser der Wietze fließt quer durch eine Baumreihe mit Erlen über eine Wiese
Hochwasser überflutet eine Wiese
Foto: Jürgen Eggers

Für ungünstig gelegene Haushalte bedeutet Hochwasser hingegen Ärger mit vollgelaufenen Kellern und Mühe mit notwendigen Abpumpaktionen. Überall an den Wohnstraßen liegen Schläuche, die das Wasser in die Gullys der Kanalisation entsorgen. In Hermannsburg und Umgebung sind wir dank der naturbelassenen Flüsse und Bäche von größeren Schäden verschont geblieben.

Bekanntlich sind die drei wichtigsten Kriterien zur Bewertung von Immobilen Lage, Lage und Lage. Es ist daher keine gute Idee ist, sein Eigenheim in Straßen mit so verdächtigen Namen wie z.B. „In den Baarwiesen“ hin zu mörteln.

Neben einer leistungsstarken und für den Dauerbetrieb geeigneten Pumpe sollte dann auch ein Schlauchboot den Fuhrpark ergänzen. Ist das nächste Haus dann noch mehrere hundert Meter entfernt, ist eine Investition in einen Außenbordmotor angeraten, um die gewohnten Mobilitätsansprüche zu gewährleisten.

Kunstfertige Spezialisten

Januar: In den warmen Monaten kann man die Radnetze der Kreuzspinne leicht entdecken, besonders wenn sich Tautropfen darauf gesammelt haben. Doch in den kalten Monaten gelingt es diesem besonderen Jäger sich ebenfalls gut zu tarnen. Fast hätten wir dieses Prachtexemplar in dem trockenen Grasbüschel übersehen.

Ihre acht Beine, die bei manchen Menschen ein starkes Ekel- oder Angstgefühl hervorrufen, hatte sie wohlgeordnet in Position gebracht um gut getarnt an diesem Halm auszuharren. Als Meister der Kunstfertigkeit kann die Kreuzspinne zum Teil recht imposante Netze bauen. Zwischen zarten Grashalmen wartet sie dann mal direkt mittig auf ihrem Netz oder gut versteckt auf sorglose Insekten.

Eine Kreuzspinne lauert mit nach vorne gestreckten Beinen in einem trockenen Grashalm auf Beute
Kreuzspinne lauert auf einem trockenen Halm
Foto: Kristina Basenau

Viele Menschen wissen heute schon, dass Spinnentiere mit zu den wichtigsten Tieren unserer Ökosysteme gehören. Doch hätten sie das gewusst? Hochgerechnet auf die Menge Insekten, die eine Spinne pro Jahr verdrückt, käme allein in Deutschland eine 10 – 15 cm hohe Schicht aus Insekten zusammen, wenn wir keine Spinnen mehr hätten. Zudem wäre unsere Luft mit so vielen Insekten angefüllt, dass wir große Schwierigkeiten hätten sie nicht ständig einzuatmen.

Spinnen sind außerdem Spezialisten in Sachen Lebensraum. Jede Art hat ganz spezielle Wünsche an ihr Habitat: viel oder wenig Feuchtigkeit, viel oder wenig Licht, hoher Bewuchs, und noch einiges mehr. Somit sind sie eng an ihren Wohnplatz gebunden. Sie dienen damit bei der Erfassung von Lebensräumen als Indikator für einen guten ökologischen Zustand ihres jeweiligen Lebensbereiches und geben dem Naturkundler auch Auskunft über die Umweltfaktoren des Standortes. Mit ihrer Hilfe konnten schon naturschutzbezogene Fragen ausgewertet werden, wie etwa Erfolge von Renaturierungsmaßnahmen oder der Einfluss von Pflanzenschutzmitteln.

Die Gartenkreuzspinne (Araneus diadematus) gehört zur Gattung der echten Radnetzspinnen, was man auf dem Bild auch gut an den Borsten der vorderen Extremitäten sehen kann. Diese Familie baut zumeist wagenradförmige Netze. Aber wie immer in der der Natur: es gibt auch hier Ausnahmen. Interessant ist die Entstehung der namensgebenden Punkte: Es sind Stoffwechselprodukte die unter dem Panzer abgelagert werden.

Alle Kreuzspinnenarten tragen ein solches Muster, doch ist das Kreuz nur bei der Gartenkreuzspinne und der Vierfleckkreuzspinne erkennbar. Die Sumpfkreuzspinne ist wesentlich hübscher anzusehen, doch leider werden die wenigsten von uns ein Exemplar finden, da diese Art als gefährdet eingestuft wird.

Die gefürchteten Kunsthandwerker Buchdrucker und Kupferstecher

Februar: Mit diesen Berufsbezeichnungen schmücken sich kleine Borkenkäfer, die zur Unterfamilie der Rüsselkäfer zählen, obwohl da nirgendwo ein Rüssel aus dem Körper baumelt. Buchdrucker (Ips typographus), Kupferstecher (Pityogenes chalcographus) und andere Borkenkäfer bohren sich gerne durch die Rinde von Fichte und Kiefer, um darunter Brutgänge für ihre Nachkommen anzulegen.

Larven und Jungkäfer fressen sich einige Wochen später zwischen Borke und Splintholz durch die leckere Bastschicht des befallenen Baumes. Dabei durchtrennen sie die Leitungsbahnen, welche die Baumwurzeln mit den in den Nadeln gebildeten Nährstoffen versorgen. Bei starkem Befall wird außerdem der Wassertransport in die Kronen unterbunden und der Baum stirbt ab.

Rot verfärbte Kronen oder Haufen grüner Nadeln am Waldboden sind ein untrügliches Zeichen für befallene Bäume im Todeskampf. Gesunden Bäumen gelingt es durch Absonderung von Harz den Insektenangriff abzuwehren, solange die Attacke nur von wenigen Käfern ausgeht.

Dürre und Hitze der vergangenen Jahre haben aber die Wälder empfindlich geschwächt und anfällig für Borkenkäfer gemacht. Die Käfer vermehren sich unter solchen Umweltbedingungen massenhaft und auch gesunde Bäume können dann den Großangriff nicht abwehren und sterben ab.

Viele gewundene Fraßgänge von Larven eines Borkenkäfers durchziehen die Innenseite einer abgelösten Fichtenrinde
Fraßgänge des Buchdruckers in Fichtenrinde
Foto: Jürgen Eggers

Die Forstwirtschaft versucht meist die Käferplage durch Kahlschlag der betroffenen Bestände einzudämmen. Das befallen Holz ist allerdings durch eindringende Pilze verfärbt und taugt dann nur noch als billiges Brennholz. Von den 79 Mio. m³ geschlagenen Holzes im Jahr 2022 waren 27 Mio. m³ durch Insektenbefall verursacht.

Mutter Natur empfiehlt die biologische Schädlingsbekämpfung: Dreizehenspecht, Ameisenbuntkäfer und Waffenfliegen mögen die Käferlarven zum Fressen gern. Eine Massenvermehrung der Borkenkäfer kann so eventuell verhindert werden. Darum ist es wichtig den Lebensraum für diese Waldpolizei zu schützen.

Übrigens: Zur Bekämpfung im Holz brütender Insekten wird liegendes Stammholz bisweilen mit Gift besprüht! Also bitte nicht auf den Holzpoltern herumklettern! Warum stehen an solchen Lagerplätzen eigentlich keine Warnschilder?

Gans reiselustig …

Februar: In manchen Jahren beginnt das Frühjahr ungewöhnlich mild, die Zugvögel kommen früh wieder und als Waldläufer kann man wunderbar die Flugformationen der Singschwäne, Kraniche und Gänse betrachten. Dem geübten Vogelkundler fliegen an Hand von Silhouette, Rufen und Formation schon viele Informationen über die jeweilige Vogelart zu. Schon allein die Rufe der Vögel sind ein wichtiges Merkmal zur Bestimmung.

Doch auch das Flugverhalten und die unterschiedlichen Routen zeigen dem Naturbeobachter, dass der Frühling schon in den Startlöchern steht. Die Gänse haben ihr Zugverhalten an die milden Temperaturen und somit an das Nahrungsangebot angepasst. Einige Gruppen ziehen zum Teil nur noch bis nach Süddeutschland, wenn das Nahrungsangebot nicht mehr für die Gruppe ausreicht.

Ihre Flugformation ist sehr ausgeklügelt: nur die erste Gans benötigt ihre ganze Energie; die nachfolgenden Tiere fliegen daher im Windschatten und können so ein Drittel ihrer Kraft einsparen. Natürlich wird sich immer wieder abgewechselt. Eine Strecke von bis zu 1000 km pro Tag ist mit dieser Strategie möglich. So reisen sibirische Gänse bis zu 6000 km zu ihren Winterquartieren in Europa. Manche Gänsepaare finden auch dichter an ihren Winterquartieren einen neuen Platz ihre Kinder großzuziehen wie hier an den Kiesteichen in Oldendorf.

Neun Graugänse fliegen tief über die Landschaft vor einem Birken- und Kiefernwald
Graugänse an den Oldendorfer Kiesteichen
Foto: Kristina Basenau

Hausgänse haben das Zugverhalten abgelegt, da sie im Laufe ihrer Domestizierung seit der Bronzezeit ihre Flugfähigkeit eingebüßt haben.

Sie werden auf vielen Höfen als Wachtiere eingesetzt. Ihr garstiger und renitenter Charakter macht sie zu beliebtem, unbestechlichen Wachpersonal. Das Risiko ist allerdings, dass sie ungebetene Gäste nicht sehr freundlich begrüßen und mit Schnabelattacken vertreiben wollen. Wenn der „Eindringling“ in akzeptabler Entfernung ist, warnen die Hausgänse erst mit verschiedenen Rufen, Schnarren und Fauchen.

Ganz anders sind da die verschiedenen Gänse, die sich jetzt wieder auf die Rückreise zu ihren Brutgebieten machen: die Graugänse (Anser anser) unterhalten sich fast die gesamte Zeit, wogegen die Bläßgans ein eher ruhiger Kandidat ist und während des Fluges eher verhalten ruft.

Auch in unseren Sprachgebrauch hat das Wort „dumme Gans“ Eingang gefunden. Wobei das Wort „Dumm“ hier nicht passt, denn die Hausgans wird ja als garstiger und renitenter Charakter als Wachtier eingesetzt. Vielleicht sollten wir die Anwendung dieser Schmähung demnächst passender anwenden …

Dazu passt ein Gedicht, dass Wilhelm Busch von einem nachgeborenen Ghostwriter untergejubelt wurde:

Die Gans auf des Raben Hofe
Im Weichbild einer friedvollen Provinz dereinst ein Rabe hielt Hofe, fürstlich wie ein Prinz.
Reisenden mit Pferd, Esel und anderem Getier er selbstredend bot Unterkunft und sicheres Nachtquartier.
Hierfür am Tage und auch zur Nacht, eine bockbeinig watschelnde, scheel glotzende Gans hielt Wacht.
Das garstig Federvieh dank kalter Elektroaugen Macht, Anwesen nebst Stallungen stets im Blicke hat.
Angefaucht und attackiert mittels Schnabelhiebe sie daselbst verjagt die eignen Gäste, nicht nur Eierdiebe!
Solch frevelhaft Betragen ward dem Raben bald verdrießlich, die Gans verschwand dann schließlich ...

Ähnlichkeiten mit dies- oder jenseitigen Gänsen oder gänseartigen Zweibeinern beiderlei Geschlechts wären rein zufällig, aber nicht unmöglich.

Wilde Felsformationen der Südheide?

März: Wie kann das sein? Solch eine Sandsteinformation mitten in der Südheide? Wo ist sie zu finden?

Und ja! Tatsächlich ist dieses Bild in der Südheide entstanden. Nach den langen Regentagen des Winters brauchte es nur einen kleinen Spaziergang über unsere sandigen Wege um ein kleines Gebirge mit faszinierenden Formationen zu entdecken. Die alten Reifenspuren eines großen Fahrzeuges waren durch den Regen auf besondere Art und Weise ausgewaschen worden.

Das abfließende Wasser hatte tiefe Spuren zwischen den kleinen und noch kleineren Steinen hinterlassen. In der ganzen Spur hatten sich kleine Täler mit aufsitzenden Steinchen gebildet. Völlig bizarr wirkte es mit dem Blick durch das Makro-Objektiv und erscheint fast wie ein Blick in eine andere Welt.

Solche Felstürme kann man tatsächlich auch in anderen Größen in verschiedenen Teilen der Welt entdecken. Zum Beispiel im Göreme Nationalpark in der Türkei gibt es ähnlich anmutende Feenkamine, die sogar als UNESCO Weltkulturerbe gut behütet werden. Oder bei einer Reise auf das nordamerikanische Festland sind in Utah zu den Wahweap Hoodoos zu finden. Ein Besuch dieser Orte ist sicherlich lohnenswert.

Ein kleiner weißer Kieselstein auf einer schlanken Sandspitze
Sandsteinformation mitten in der Südheide?
Foto: Kristina Basenau

Wer den kleineren Geldbeutel hat, kann sich natürlich auch nach einem Regenschauer auf die Suche nach unseren kleinen „Gebirgen“ machen. Je nach Bodenbeschaffenheit können die Türmchen manchmal richtig hoch werden. Diese Miniaturkunstwerke überdauern oftmals nur einen kurzen Zeitraum, denn der Heidesand trocknet recht schnell aus und da genügt eine leichte Erschütterung und die filigranen Sandtürmchen stürzen ein.

Erosion ist in unserer Landschaft tatsächlich ein Thema mit Potenzial. Der Heideboden hat durch seine Entstehungsgeschichte nur wenig Speicherkapazität. Das Wasser verschwindet schnell und auch mit Nährstoffen ist unser Boden durch verschiedene Ereignisse nur mäßig ausgestattet. Entstanden sind unsere Heideböden durch riesige Gletscher und deren Hinterlassenschaften. Mächtige Sandablagerungen wurden von den schmelzenden Eismassen während der zwischeneiszeitlichen Warmperioden hinterlassen und bilden heute unsere nährstoffarmen Sandböden, auf denen aber die dennoch die leckersten Einwanderer wachsen: die Kartoffeln!

Doch nicht nur Sander hinterließen die Kaltzeiten: die Urstromtäler von Aller und Örtze entstanden gemeinsam mit kleinen Moorgebieten. Und auch bei Oberohe entstand eine Besonderheit, die unserem Landkreis bis heute eine gewisse Bekanntheit gibt, wenn es um die Geschichte der Wasserfilter geht: Kieselgur!

Wer hierzu mehr erkunden möchte, dem empfehlen wir eine doppelte Tour, bei schlechtem Wetter lohnt sich hier ein Besuch im Bomannmuseum in Celle und bei gutem Wetter ein Spaziergang um die durch den Abbau entstandenen Kieselgurteiche bei Oberohe mit anschließender Einkehr in die kleine Gaststätte in der Nähe des Wanderparkplatzes.

Frühblüher und gefährlicher Gesundmacher Huflattich

März: Der sehr anspruchslose Huflattich (Tussilago farfara) wächst gerne auf feuchten und sonnigen Standorte, wie hier an den Oldendorfer Kiesteichen. Der Korbblütler gilt als Zeigerpflanze für staunasse Böden. Aber sogar Braunkohle bietet ihm einen akzeptablen Lebensraum.

Seine schwach nach Honig duftenden, strahlend gelben Blüten erscheinen bereits im Februar und machen ihn zu einer der ersten Frühjahresblumen. Die Blüten der Pionierpflanze entwickeln sich noch vor den Blättern, deren Form einem Pferdehuf ähnelt.

Einige gefährdete Schmetterlingsarten brauchen den Huflattich als Futterpflanze und er bietet erste Nahrung für Vögel, Bienen und Käfern am Ende des Winters. In Nordamerika breitet sich die Pflanze allerdings als invasiver Neophyt aus.

Makrofoto einer Blüte mit gedrehten schmalen gelben Blütenblättern
Blüte des Huflattich
Foto: Jürgen Eggers

Die „Heilpflanze des Jahres 1994“ gehört zu den ältesten Arzneimitteln. Bereits Griechische Ärzte empfahlen im 1. Jahrhundert den Rauch von Blättern und Blüten als Mittel gegen Husten. Heute wird vom Inhalieren abgeraten, denn beim Verbrennen entstehen schädliche Stoffe!

Zubereitungen aus der Pflanze kommen wieder in Mode. Aber Vorsicht: Keinen Huflattich aus der freien Natur verwenden, denn der enthält giftige Alkaloide, die die Leber schädigen können! Man sollte nur geprüfte Präparate aus kontrolliertem Anbau in Apotheken oder Reformhäusern kaufen. Dort werden Sonderzüchtungen mit sehr geringen Anteilen an Alkaloiden angeboten. Auch sollte Huflattich nicht täglich und auch nur in kleinen Mengen konsumiert werden! Der Handel bietet außerdem schleimlösende Huflattich-Lutschtabletten, Tees und Gurgellösungen an.

Die Pflanze hat darüber hinaus einen sehr praktischen Wert: Die großen Blätter sind sehr weich und haben auf der Unterseite feine Härchen. Waldläufer, Wanderer und andere Naturfreunde schätzen den Huflattich als natürliches Toilettenpapier.

Innehalten und mit der Natur atmen

März: Ist es nicht herrlich, wenn die ersten Sonnenstrahlen Wärme bringen? Blaustern, Maiglöckchen und andere Frühblüher überziehen die Gärten mit bunten Farben und streicheln die Seele aus der Winterruhe heraus. Die Natur lädt uns ein, ihr Erwachen mitzuerleben. Und was gibt es da Schöneres als ein Picknick? Gute Plätze dafür finden wir in unserer Ecke viele und mit einer passenden Decke kann man es durchaus auch länger an dem gewählten Ort aufhalten.

An manchen Tagen ist es jedoch der eigene Garten, der uns erst animiert, ihm zum Beispiel neue Blumen zu schenken, vielleicht einen Baum zu pflanzen, die Hecke für die Vögel vorzubereiten, Nistkästen zu säubern und vieles mehr.

Eine Pause bei diesen Arbeiten einzulegen ist dabei genauso wichtig. Zu schauen, was man geschafft hat oder sich über die Vielfalt an Insekten zu freuen, die auch zeitig wieder in ihren Lebenszyklus starten. Bienen, Hummeln und viele andere sind nun auf der Suche nach Futter oder einem neuen Heim.

Wer in seinem Garten viel Blaustern (Scilla) finden kann, sollte sich dieser Tage einmal genau die Pollensammler ansehen und wird vielleicht an den Hinterbeinen eine etwas ungewöhnliche Farbgebung erkennen. Manch eine Biene ist so versessen auf den Blaustern, dass sie blaue Hosen bekommt. Der Imker nennt die Pollensammlung an den Hinterbeinen der Bienen Höschen, weil sie an Pluderhosen erinnern. Außerdem gibt es sogar Wildbienen, die als Hosenbienen bezeichnet werden, weil sie an den Hinterbeinen eine lange Behaarung aufweisen.

Eine Wespe sitzt auf einem länglichen Blütenblatt einer blau blühenden Pflanze
Eine Wespe an einer Blüte des Blaustern
Foto: Kristina Basenau

Doch nicht nur Pollensammler sind in den ersten warmen Tagen unterwegs, auch räuberische Wespen, die auf unvorsichtige Beute warten. Ganz ruhig klammert sich das Exemplar auf dem Bild an ihren gewählten Beobachtungsposten. Von der Kamera lässt sich das kleine Tier nicht stören, weiß es doch, dass es schneller ist als der Mensch dahinter. Wohin der wachsame Blick des Insektes gerichtet ist, lässt sich für uns nur schwer ergründen.

Ob es einfach inne hält um wieder in den Rhythmus der Natur einzutauchen? Für uns Menschen ist es auf jeden Fall wichtig immer mal wieder mit einer kleinen Pause der Frühjahrsmüdigkeit zu begegnen und Energie zu tanken!

Die Reise einer kleinen Waldameise

April: Der Frühling zeigt was er kann. Sonnenschein und eine leichte Brise umschmeicheln Ohren, Nase und Mund. Insekten surren und Vögel singen. Der Weg führt uns in die Heideflächen im Hermannsburger Tiefental. Ortskundige kennen die kraterförmige Vertiefung am Waldrand. Das große kreisförmige Loch verdankt seine Entstehung wohl nicht dem Einschlag eines Meteoriten, sondern vermutlich dem Abbau von Kies für Bauzwecke.

Überall auf dem sandigen Heideboden krabbelt es. Ein schwarz glänzender und grotesk aufgedunsener Ölkäfer kommt nur langsam voran. Pummelige Hummeln schwirren von Blüte zu Blüte, um den Supertreibstoff Nektar zu bunkern.

Und da ist noch diese flinke Waldameise. Wie viele Begegnungen hatte sie heute wohl auf ihrer Dienstreise? Musste sie alten Getränkedosen, Glasscherben oder Plastikmüll ausweichen oder einfach darüber krabbeln?

Bisher gibt es keine ultraklitzekleine Kamera, die auf den Rücken des Krabbeltieres geschnallt, uns die Reise live verfolgen ließe. Dann könnte man vielleicht folgende Szene beobachten: Die Ameise saugt reichlich Restalkohol aus einer kürzlich weggeworfener Bierdose und torkelt danach betrunken durch die Gegend. Zwei nüchterne Ameisen müssen die im Vollrausch hilflose Kollegin vorsichtig nach Hause bugsieren.

Lässt sich der schwankende Gang nicht auch auf solider naturwissenschaftlicher Basis erklären? Albert Einstein, der geniale Physiker mit der 10.000 Volt-Struwelpeter-Frisur formulierte im Jahre 1905 seine bahnbrechende Relativitäts-Theorie. Vielleicht wird ja auch die Schwerkraft für eine alkoholisierte Kreatur relativ? Dann zieht sie nicht immer nur stur lotrecht zum Erdmittelpunkt, sondern in kurzen Zeitabschnitten abwechselnd in verschiedene Richtungen schräg in den Boden und bewirkt so den scheinbar unkontrollierten Gang. Könnte doch sein?

Eine Ameise auf einem sandigen Heideboden streckt sich einer Heideblüte entgegen
Eine Ameise streckt sich einer Heideblüte entgegen
Foto: Jürgen Eggers

Wie dem auch sei: Genau im richtigen Moment gelingt mir eine Makroaufnahme des sich nach einer Heideblüte reckenden Insekts! Die Kahlrückige Waldameise (Formica polyctena) ernährt sich von einer Mischkost aus anderen Insekten und zuckerhaltigen Säften. Duftspuren führen sie am Feierabend sicher zum Ameisenbau zurück, der höchstens 50 m entfernt sein sollte. Waldameisen leben ober- und unterirdisch in einem Staat mit typischerweise 1 Million Individuen.

Der oberirdisch sichtbare Hügel aus Nadeln und Stöckchen wird fälschlicherweise vom Volksmund als „Ameisenhaufen“ verunglimpft. Die korrekte Bezeichnung lautet „Ameisennest“. „Ameisen bauen ein Nest und Hunde machen einen Haufen!“ Diesen prägnanten Merksatz hörte ich von einem ameisenkundigen Kraftstrom-Strippenzieher und Elektrogelöt-Heilemacher. Abends ist er Co-Gastgeber und Hopfenschorle-Tankwart in einem Etablissement für betreutes Trinken.

Mit wachsender Beliebtheit erfreuen sich Ameisen als Haustiere! In einem gläsernem Formikarium können Liebhaber die spannende Welt der Ameisen bequem von zu Hause aus verfolgen. Selbstverständlich dürfen Waldameisen als geschützte Art nicht mit nach Hause genommen werden! Der Handel empfiehlt zum Einstieg die pflegeleichte Ameisenart Lasius niger. Allerdings sind regelmäßig Maßnahmen gegen das Ausbüxen der Kolonie erforderlich. Ein Film aus Paraffinöl auf die Oberkante des Glasrandes hat sich bewährt. Sonst herrscht bald das große Krabbeln im Wohnzimmer.

Es geht weiter ...

Weitere Naturentdeckungen folgen alle paar Monate, sobald sie erlebt, fotografiert, aufgeschrieben, recherchiert, umgeschrieben, getextet, diskutiert, redigiert, gegengelesen, lektoriert und korrigiert sind.

Kommentare

Kommentar schreiben ✎