Mausbesetzer, Baummarder und Co. – Fundstücke des Jahres 2025
Jürgen Eggers und Kristina Basenau – NABU Hermannsburg/Faßberg e.V.
In unserer schnelllebigen Zeit ist ständige Erreichbarkeit zum Fluch geworden. Da hilft Bewegung in der freien Natur bei der „digitalen Entgiftung“, wenigstens für ein paar Stunden. Zum Glück gibt es tief in den Wäldern nur vereinzelte Empfangsinseln und viele Zonen ohne „Balken“ auf dem Display. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass das unentbehrliche Smartphone in ein tiefes Funkloch fällt und es gibt dort ja kein Netz, um es noch aufzufangen. Außerdem sollten im Wald nur Hunde stets online gehen, daber daraus sollte man ihnen keinen Strick drehen.
Die Geschwindigkeit der Bewegung lässt uns die Natur unterschiedlich wahrnehmen: Wer durch den Wald läuft, sieht Bäume an sich vorbeifliegen und hört im Herbst das Laub unter den Füßen rascheln. Fuchs und Hase nehmen dann allerdings Reißaus.
Beim Wandern tun wir Gutes für unseren Kreislauf und hören die markanten Rufe von Mäusebussard, Schwarzspecht und Kolkrabe. Würzig duftende Kräuter am Wegesrand wecken unsere Neugier.
Eine moderne Form des Schlenderns ist das in Japan sogar als Therapieform bekannte „Waldbaden“: Mit allen Sinnen die Natur bewusst wahrnehmen und so der Hektik des Alltags entfliehen. Und „Waldbademeister“ bieten auch bei uns in der Südheide kostenpflichtige Kurse an.
Und wer noch mehr Ruhe finden möchte, setzt sich einfach eine halbe Stunde auf den Waldboden und lehnt an einen alten Baumstamm. So lässt sich die Natur besonders intensiv erleben: Käfer krabbeln durchs Gras, eine Maus hastet ängstlich über den Waldboden und das kaum wahrnehmbare Sirren der Wintergoldhähnchen erfreut uns in höchsten Tönen …
Tote können nicht reden, aber viel erzählen
Wie tote Tiere neues Leben schenken und ein Nachdenken über Vergänglichkeit
Januar: Im Winter kehrt Ruhe in die Natur ein. Bäume und Sträucher verlieren ihre Blätter, die oberirdischen Teile der meisten Gräser sterben ab und geben damit den Blick auf den Waldboden frei. Bei einem Waldspaziergang am Steilufer einer Schleife der Örtze bei Wolthausen machen wir einen grausigen Fund: Das Skelett eines Tieres liegt als Bausatz zwischen den Blaubeersträuchern. Allerdings nur der abgetrennte Schädel – Rumpf, Gliedmaßen und die anderen Puzzleteile fehlen. Also eigentlich eine Entdeckung ohne Hand und Fuß.
Der Größe nach könnte es mal ein junges Reh gewesen sein, aber Zahnstellung und Kieferknochen erinnern mehr an Dachs, Waschbär oder Biber.
Warum also nicht das geballte Schwarmwissen anzapfen? Eine sachkundige virtuelle Gemeinschaft, die anhand von Fotos Tieren und Pflanzen ihre Namen zurück gibt, kommt zum eindeutigen Ergebnis: Nutria (Myocastor coypus). Hätten wir das also geklärt.
Spezialisten können am Fundort viel über das ehemalige Lebewesen heraus finden:
- Seit wann liegt der Kadaver hier?
- Wie alt war das Tier?
- Starb es an Altersschwäche oder wurde Opfer eines Beutegreifers?
- Beendete ein unpräziser Schuss aus einer Jagdflinte seine irdische Existenz?
- Passt der Fundort zum natürlichen Lebensraum?
Das sind nur einige Fragen, die uns dazu in den Sinn kommen.
Welche biologische Bedeutung haben eigentlich Tierkadaver im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen? Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten, den laut EU-Recht müssen Tierkadaver aus der freien Natur beseitigt werden, damit sich keine Krankheitserreger verbreiten können. So jedenfalls die Befürchtung. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, wurden in einem Forschungsprojekt Tierkadaver im Nationalpark Bayerischer Wald liegen gelassen und der natürlichen Verwesung überlassen. Schnell sind Heerscharen von Fliegen da und legen ihre Eier im Kadaver ab. Deren Larven verspeisen später schon mal eine ganze Portion.
Es folgen Kolkrabe und Bussard, die auch totes Fleisch nicht verschmähen. Schließlich zieht der Geruch Wildschwein, Dachs, Fuchs und Wolf an, die sich große Stücke rausreißen. Am Ende bauen Pilze und Bakterien die verwertbaren Reste ab und lassen nur das Knochengerüst übrig. Viele Arten, vom Käfer bis zum Geier, sind auf totes Fleisch spezialisiert und brauchen laufend Nachschub. Im Endeffekt spenden Kadaver neues Leben und erhöhen die Vielfalt in der Natur.
Der Tod ist in unserer modernen, ständig auf Wachstum eingestellten Gesellschaft ein Tabu. In der Epoche der Romantik zwischen den Jahren 1795 und 1835 war das noch anders. Damals galt der Totenschädel als Symbol für den Kreislauf des Lebens und Erinnerung an die eigene Sterblichkeit. Das hatte seinen Ursprung im antiken Rom, wo der Ausspruch «Memento mori» („Bedenke, dass du sterben wirst“) geprägt wurde. Noch heute kennen wir mehr das «Carpe diem» („Nutze die knappe Lebenszeit“).
Wer das Unterlüßer Albert-König-Museum besucht, findet auf dem Schreibtisch des ehemaligen Künstlerateliers einen menschlichen Totenschädel. Natürlich sollte man auch die Kunstwerke an den Wänden bestaunen – es lohnt sich.
Schreckhafte Mausbesetzer
Wenn Mäuse statt Meisen einziehen – tierische Geschichten aus dem Örtzepark
Februar: Damit Parasiten wie Flöhe, Milben und Zecken nicht Überhand nehmen, ist es sinnvoll eine künstliche Nisthilfe einmal pro Jahr zu reinigen. Mangelnde Hygiene schwächt das Immunsystem der Jungvögel und verschlechtert ihre Überlebenschancen deutlich. Aber Baumhöhlen als natürliche Nistquartiere werden doch auch nicht gereinigt und haben sich seit mehreren Millionen Jahren in der Praxis bewährt. Nistkästen erst zum Ende des Winters zu reinigen ist eine gute Idee, denn dann können Maus oder Siebenschläfer die Behausung noch als Winterquartier nutzen.
Im Hermannsburger Örtzepark hängen vom NABU über ein Dutzend Nistkästen. Unser Beitrag zum „Sozialen Wohnungsbau“ für die Vogelwelt, denn natürliche Baumhöhlen gibt es nur in alten Bäumen und die sind selten geworden. Zur Säuberung und Inspektion der kunstvoll ausgepolsterten Kinderstuben vom Amsel, Meise und Star rücken wir mit Leiter, Bürste, Spachtel, Kehrblech und Hammer an.
Gleich beim Öffnen des ersten Nistkastens in einer Birke erlebe ich eine Überraschung: Kein Nest, nur etwas Laub und ein kleines atmendes Fellknäuel kauert auf dem Boden. Eine Gelbhalsmaus (Apodemus flavicollis) hat sich für diese Winter hier eingemietet. Das noch schlaftrunkene Nagetier – überrascht von der plötzlichen Helligkeit – dreht sich langsam um und schaut in die Plastiklinse meines gezückten Smartphones.
Nistkästen aus Holz quellen bei Feuchtigkeit auf. Manchmal klemmt dann die Frontklappe und lässt sich erst durch ein paar robuste Hammerschläge öffnen. Ein Kasten ist bis zur Hälfe mit Moos gefüllt und darauf sitz t eine völlig verängstigte Maus. Mit einem beherzten Sprung auf meine Schulter rettet sie sich und verschwindet im Gebüsch.
Traditionell bevorzugen die gefiederten Zweiflügler für die Inneneinrichtung natürliche Materialien wie Moos, Gras und Laub. Aber aus einem Nistkasten leuchtet es feuerrot! Experimentierfreudige Vogeleltern polsterten ihr Nest mit bunten Kunstfasern aus industrieller Produktion. Man nimmt halt, was der Markt so hergibt.
Trauriger Abschied von der 120-jährigen Hofbuche
Wenn Äste winken und Erinnerungen wurzeln – das bewegte Leben einer Rotbuche
März: Bäume begleiten uns auf vielfältige Weise: als Möbelstück, als Buch, als Kleidung (Viskose), als Lebensmittel (Bucheckern), im Garten, an der Straße und natürlich im Wald. Überlieferungen und Forschung belegen, dass uns in Europa die Buchen schon immer vertraut gewesen sind. So wurden zum Beispiel zur Zeit der Kelten für die Übermittlung kurzer Nachrichten zwischen Schreibkundigen Buchenstäbe genutzt.
Herbstliche Bucheckern und frische, helle Frühlingsblätter bereichern seit langem unseren Speiseplan. Wenn ich an einen alten Buchenwald denke, fällt mir dazu der Begriff der „Heiligen Hallen“ ein.
So gibt es in Mecklenburg ein einmaliges Naturwaldreservat mit diesem Namen mit 350 Jahre alten Buchen. Wer nicht so weit fahren möchte um ein vergleichbares Erlebnis eines Naturwaldreservat zu spüren, kann zwischen Unterlüß und Weyhausen ein etwas kleineres Schutzgebiet erkunden.
Alter und Größe der Bäume lassen uns erahnen, was sie in ihrem Baumleben bereits mit der manchmal aufdringlichen Nachbarschaft ertragen haben. Besonders deutlich fällt das Lebensalter von Baumriesen allerdings erst auf, wenn sie alleine, auf dem Dorfplatz oder am Ortseingang stehen.
Vermutlich über 120 Jahre alt ist eine auffällige Rotbuche (Fagus sylvatica) in Beckedorf. Jahrzehnte war sie für die Hofbesitzer des Brauelshofes und ihre Gäste ein markantes Zeichen an der Hofeinfahrt. Bei unserem Gespräch mit dem Hofbesitzer berichtete er, dass diese Buche für seine Mutter in ihrer Kindheit ein Treffpunkt für Spielverabredungen war.
Der Autoverkehr war Mitte der 1960er Jahre deutlich geringer, auch war die Landstraße durch Beckedorf damals viel schmaler und Radfahrer mussten sich die Fahrbahn mit den Autos teilen. Für den heutigen Hofbesitzer Sebastian und seine Brüder führte an der Rotbuche ein wichtiger Weg entlang: in schneereichen Wintern zogen sie ihre Schlitten an dem Baumriesen vorbei zum Beckedorfer Rodelberg.
Eine weitere wichtige Funktion erfüllte der Stamm der Rotbuche als örtliches Mitteilungsblatt: Einladungen und Ankündigungen zu Scheunenfeten, Osterfeuern und andere wichtige Ereignisse im Dorf wurden dort plakatiert. Selbst nach der Baumfällung sind noch alte Nägel und Reißzwecken zu entdecken.
Was in so manchen Orten die Gerichtslinde war, erledigte diese Buche im „Vorbeigehen“ und mir schien es, als würde der Baum jemandem zuwinken. Einer der älteren, mächtigen Äste war durch seinen urtümlichen Wuchs fast wie ein angewinkelter Arm geformt. Selbst die schmaleren Äste wirkten wie Finger; immer, wenn ein kräftiger Wind durch die Äste rauschte, grüßte der Baum fast königlich mit seinem „Arm“ die vorbei wandernden Menschen.
Weitere Fragen bewegten uns ebenfalls: Wurde der Baum vielleicht anlässlich der Geburt seiner Urgroßmutter im Jahr 1901 gepflanzt? Kein abwegiger Gedanke, wenn man an traditionell zur Geburt gepflanzten Bäume denkt oder aber z.B. an die Hochzeitsbäume in Müden. Eines ist jedoch sicher: die winkende Heimatbuche hat zwei Weltkriege überstanden. Und wer weiß von welchen Menschen sie uns berichten könnte, die sich ihr ebenfalls verbunden gefühlt haben? Vielleicht von Reisenden, die sich auch gegrüßt fühlten? Oder von zurückkehrenden Soldaten, die in Freudentränen ausbrachen, als sie den Heimatbaum sahen?
Was auch immer sie als Leser sich vorstellen können … Erzählen sie anderen ihre Baumgeschichten. Nur so bleiben alte Bäume auch in uns lebendig. Leider konnte die mächtige Rotbuche uns eine Geschichte erst zu spät erzählen:
Die Leidensgeschichte durch den Befall mit dem Riesenporling. Dieser Weißfäulepilz hat dem Heimatbaum so viel Schaden zugefügt, dass er so dicht an der Straße nicht mehr verweilen durfte. In diesem Frühjahr ist der starke Baumriese durch noch stärkere Sägen zu Fall gebracht worden. Und ja, sicher waren nicht nur die Besitzer des Hofes traurig über dieses erzwungene Ableben des Baumes.
Doch das Opfer soll nicht einfach dem Verfall anheimgegeben werden. Es werden nun Ideen gesucht, was aus dem mächtigen Stamm und den starken Ästen gemacht werden kann. Baumriesen haben es verdient ein zweites „Leben“ zu erhalten, ob als Möbelstück, Kunstwerk oder ... Hier ist die Kreativität unserer Leserschaft gefragt! Wer also etwas von seinen Ideen beisteuern möchte, melde sich bitte bei uns oder auf dem Brauelshof.
Scheue Sonnenanbeterin mit giftigem Biss
Wie Kreuzottern mit perfekter Tarnung und tödlicher Präzision das Überleben in rauer Natur meistern
März: Die ersten nach Frühling schmeckenden Tage locken uns zu einem Ausflug in ein interessantes Waldgebiet. Die Sonne wärmt angenehm die Haut und weckt die Natur sanft aus dem Winterschlaf. Am Übergang zu einem Moorgebiet entdecken wir an einem einsamen Wegesrand eine eingerollte Schlange. Eine Kreuzotter (Vipera berus) liegt versteckt unter einem Fichtenzweig und tankt lebensspendende Sonnenenergie. Das wechselwarme Reptil braucht die Wärme, um sich zu bewegen.
Morgens und am späten Nachmittag nehmen die bei uns vom Aussterben bedrohten Tiere deswegen ausgiebige Sonnenbäder. Um möglichst viel Energie zu tanken, spreizen sie ihre Rippen und verdoppeln mit dieser Technik die Oberfläche ihrer „Sonnenkollektoren“. Die kalten Wintermonate überleben Kreuzottern in Winterstarre – oft in Gesellschaft mit Artgenossen – frostsicher in Hohlräumen des Waldbodens. In diesem Zustand sind sie freilich schutzlos und werden zuweilen Opfer wühlender Wildschweine. Wir halten respektvoll Abstand, nicht aus Angst vor einem giftigen Schlangenbiss, sondern um das Reptil nicht unnötig in die Flucht zu schlagen. Schließlich sind wir nur Gast in der „Wohnstube“ der Tiere.
Eigentlich ist ihr Biss immer tödlich giftig, falls Sie sich als Eidechse, Maus, Frosch oder Waldwichtel identifizieren. Um einen gesunden erwachsenen Menschen in die ewigen Jagdgründe zu befördern, braucht es mindestens die 5-fache Giftmenge. Zum Nahrungserwerb durch Totbeißen lauert ein Kreuzotter regungslos ihrer Beute auf. Kommt eine sich bewegende Mahlzeit dann in ihre Nähe, kann das beinlose Reptil durch Züngeln – eine Kombination aus Riechen und Schmecken – das Opfer aufspüren und mit einem blitzschnellen Biss zur Strecke bringen. Kolkrabe und Igel sind wiederum ihre größten natürlichen Feinde. Igel sind sogar immun gegen ihr Nervengift.
Die sehr unterschiedlich gefärbten Schlangen mit dem charakteristischen Zickzack-Band auf dem Rücken kriechen in einem riesigen Gebiet, von England im Westen über das gesamte nördliche Russland bis nach Sachalin im Osten Asiens, über den Erdboden. Da die Eier vom Weibchen im Körper ausgebrütet werden, können sie auch kältere Regionen der Erde besiedeln. Seltsamerweise meiden die Tiere das Sauerland und viele andere westlichen Mittelgebirge, obwohl der Lebensraum passend wäre. Die Erklärung: „Schlangen haben auch ihren Stolz.“ gehört doch wohl ins Reich der Mythen?
Es ist auch keine gute Idee nach einem Schlangenbiss die Wunde auszusaugen, denn Keime könnten dann eine Infektion auslösen. Wenn der saugende Ersthelfer auch noch ein Vampir ist, wird es richtig gefährlich. Übrigens: Eine Namensverwandtschaft lässt nicht automatisch auf eine biologische Verwandtschaft schließen. Denn was verbindet Kreuzottern mit Fischottern oder gar Eidottern?
Wilde Wiesen sind wahre Wunderorte
Lebensraum mit Seele – warum Wiesen mehr sind als nur unbeachtete Naturschätze
Mai: Wie jedes Jahr freuen wir uns über die herrlich artenreichen Wiesen, die im Verlauf des Frühjahres und Sommers ihr Farbspektrum verändern. Grüntöne sind natürlich immer zu finden. Doch auch weiß, gelb, rot, blau und rosa sind weitere Farben, die uns begegnen. Besonders fiel uns in diesem Jahr das Wiesenschaumkraut (Cardamine pratensis) auf. An günstigen Standorten lässt uns diese hübsche Blume eine Wiese wie ein kleines Meer mit blitzenden Schaumkronen erstrahlen. Könnte sich davon der Name ableiten?
Tatsächlich sind Schaumkräuter wichtige Wirtspflanzen für etliche Insektenarten, wie z.B. Schaumzikaden. Diese kleinen Tierchen legen ihre Eier an den Stängeln von Schaumkräutern ab. Wenn die Larven geschlüpft sind, saugen sie Nährstoffe aus der Pflanze und scheiden eiweißreiche und schaumige Sekrete aus, um sich mit einer kühlenden Schutzhülle zu umgeben.
Auch der hübsche Aurora-Falter braucht das Wiesenschaumkraut für seine Nachkommen. Er legt seine Eier an der Pflanze ab und nutzt die Blüten als Nahrungsquelle. Wird die Wiese vor Juli oder August gemäht, kann die Nachkommenschaft des Falters in große Bedrängnis geraten, da die Futterpflanze nun zu kurz ist um alle Nachkommen satt zu machen. Immerhin kann diese Falterart auch auf andere Kräuter ausweichen.
Wiesenschaumkraut ist eine landwirtschaftliche Zeigerpflanze, sie steht für grundwasserdurchzogene, lehmige Böden. Hahnenfußgewächse und Lichtnelken mögen ähnliche Böden und daher sind solche Wiesen für die Insektenwelt und unser Auge von großem Wert. Manche Wiesenbesitzer wissen leider nur wenig über ihren „Schatz“ und düngen zu viel oder mähen das Gras oft zu tief, was mehr Wasser verdunsten lässt. Beides hat den Effekt, dass sich nur noch schnell wachsende Gräser durchsetzen und somit die Blütenpracht der Wiese Jahr für Jahr weniger wird.
In Buch und Film „Die Wiese“ hat der Naturfilmer Jan Haft genau diese Empfindlichkeit und Lebendigkeit des Ökosystems verdeutlicht. Er berichtet darin über die Sensibilität innerhalb dieser kleinen, wunderbaren Lebensräume, davon wie Schmetterlinge, Ameisen und Vögel sich in diesem fabelhaften Biotop wohlfühlen und was man für den Erhalt alter Wiesen tun kann. Wie wir, nimmt sich Jan Haft viel Zeit diese kleinen Wunder zu entdecken und sichtbar zu machen.
Noch gibt es einige wildkräuterreiche Wiesen auch in unserem landwirtschaftlich geprägten Umland. Die meisten liegen versteckt, andere sind gut sichtbar an unseren Straßen zu finden, z.B. bei Altensalzkoth. Wer bei Streifzügen und Fahrten aufmerksam unsere Landschaft betrachtet, wird hoffentlich noch mehr entdecken.
Rosenkäfer: Genuss mit Muße
Zwischen Blütenduft, Kompost und glänzender Ingenieurskunst
Juni: Manchmal reicht ein kleiner Spaziergang in der Mittagspause, um den Alltag mit einem schönen Naturerlebnis zu bereichern. Am Rande einer alten Eichenallee am Sonnenberg bei Müden (Örtze) bilden dichte Bestände von Farn und Wiesenkerbel Lebensraum für die immer seltener werdenden Insekten. Schon aus vielen Metern Entfernung entdecke ich einen metallisch schimmernden Käfer, der am Wegesrand auf einer Blüte sitzt. Ein Goldglänzender Rosenkäfer (Cetonia aurata) krabbelt gemächlich in der krautigen Vegetation herum und steckt seinen „Rüssel“ tief in die weiße Blüte eines Wiesenkerbels.
Der betörende Duft scheint ihn in eine Art Trance zu versetzen. Minutenlang bleibt er auf der gleichen Pflanze und lässt sich auch nicht durch das Fotografieren aus nächster Nähe aus der Ruhe bringen. Hat der intensive Geruch auf das Kerbtier eine ähnlich berauschende und sedierende Wirkung wie beim Menschen der süßliche Duft der in Deutschland seit einem Jahr wieder umstritten legale Konsum selbstgedrehter „Sportzigaretten“? Aber Rosenkäfer gehen die Ränkespiele der deutschen Juristerei wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ziemlich an den hinteren Flügeldecken vorbei.
Aber nun zurück zu den Fakten: Die Larven des Käfers werden Engerlinge genannt und entwickeln sich in 2 bis 3 Jahre zum fertigen Schmuckinsekt. Gerne beziehen sie einen Komposthaufen als Kinderstube und machen sich dort als Nützling nützlich. Sie verdauen sogar Holzreste. Dort umwehen allerdings ganz andere Duftnoten die Nase als im frühlingshaften Blütenmeer. So ändert sich, nicht nur beim Menschen, im Laufe der Entwicklung der Geschmack.
Die Materialwissenschaft interessiert sich neuerdings auch für den Käfer, denn die metallisch glänzende Oberfläche seiner Flügeldecken bleibt stets picobello sauber. Vielleicht lassen sich daraus Erkenntnisse zur Entwicklung besonderer Oberflächenbeschichtungen gewinnen? Wie wär’s mit selbstreinigenden Smaragdgrün-Metallic fürs Auto statt langweiligem Anthrazit oder – noch schlimmer – grau, der Farbe des Esels.
Ein Froschkönig auf seinem Seerosen-Thron
Kaulquappen und Quackkonzerte – Naturbeobachtungen im Kinderzimmer
Juli: In einer Seerose im Teich, da sitzt ein Frosch auf seinem Thron. Der „Grünhäutige Monarch“ hat von dieser hohen Warte einen guten Überblick über sein Reich, einem kleinen Gartenteich. Libellen präsentieren ihre akrobatischen Flugkünste, Taumelkäfer wuseln auf der Wasseroberfläche herum und bunte Schmetterlinge gaukeln über die angrenzende Blumenwiese.
Mit seinem Rundumblick und der überragenden Sehkraft entgeht ihm kein Beutetier in seiner Nähe. Blitzschnell schießt dann seine lange Zunge heraus und sein Opfer verschwindet im Maul. Da ein Frosch aber weder Zähne noch Muskeln zum Schlucken seiner Nahrung hat, muss er eine andere Technik nutzen: Er schließt seine Augen und drückt auf diese Weise die Beute in den Magen. Sieht ziemlich putzig aus.
Es ist eine gute Idee bei der Recherche im Internet zunächst bei der Wikipedia und anderen seriösen Seiten anzuklopfen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Dort wird berichtet, dass Grasfrösche (Rana temporaria) sogar in der Dunkelheit Farben sehen können, was in der Tierwelt ziemlich einzigartig ist.
Im Frühjahr erfreuen sie uns mit nächtlichen Froschkonzerten. Doch manch zugezogener Städter empfindet dies als Lärmbelästigung und zieht dagegen vor den Kadi, weil das Freiluft-Freejazz-Konzert seine Nachtruhe stört. Aber zum Landleben gehören doch die tierischen Lautäußerungen der Quacklurche, die sich wie eine Mischung aus Tröten und Grunzen anhören? Es klingt so, als würde mit plattgedrückten Posaunen gespielt werden und der Dirigent vollständig die Kontrolle über das Orchester verloren hat.
Die wundersame Verwandlung von der Kaulquappe zum fertigen Lurch hat mich schon als Kind fasziniert. Damals durfte ich diese Metamorphose in einem kleinen Aquarium auf der Fensterbank genau beobachten. Jeden Tag konnte man Veränderungen sehen: Zuerst wuchsen die winzigen froschtypischen Hinterbeine und der Ruderschwanz aus dem schwarzen, bohnenförmigen Wesen, später bildeten sich Kiemen und Schwanzflosse zurück. Etwa acht Wochen nach dem Schlüpfen konnte ich dann einen niedlichen Frosch erkennen. Prägende Naturbeobachtungen live und in Farbe im Kinderzimmer! Laut Bundesnaturschutzgesetz ist es allerdings heute wegen des Artenschutzes verboten, Kaulquappen aus ihrem natürlichen Lebensraum zu entnehmen.
Aber ein künstlich angelegter Gartenteich schenkt unserer stark ausgeräumten Kulturlandschaft eine Oase des Lebens und beschert uns vielfältige Naturbeobachtungen vor der Haustür: Heranwachsende Kaulquappen, schlüpfende Libellen, trinkende Bienen, badende Spatzen und noch viel mehr. Sind bereits Fische im Teich, sollte man einen seichten Uferbereich von der Tiefwasserzone abtrennen, um die Entwicklung der Froschlarven vor Fressfeinden zu schützen.
Leider können auch krallenbewehrte Haustiere und eingewanderte Tierarten eine echte Gefahr für die naßhäutigen Teichhüpfer werden. Gemeint sind gut genährte Hauskatzen, die ihrem Jagdtrieb nicht widerstehen können und die maskierten Waschbären, die ebenfalls geschickte Jäger und Allesfresser sind.
Magische Hilfe für den Wachtelweizen – Ein kleines Märchen
Wenn Blätter wärmen und Samen reisen – Zauber und kluge Verhandlungskunst
August: Den Eingang zu ihren Häusern verstecken sie meist sehr gut. Nur an Orten, die magisch sind oder wo sie Vertrauen zu den Lebewesen haben, die durch ihre Gärten wandern, kann man ihre Häuser entdecken. Ihre Wohnstätten sind oftmals so winzig, dass nur geübte Entdecker sie finden können. Doch manch ein Volk kommt dem Menschen so nah, dass es auch von Kinderhand entworfene und gebaute „Schlösser“ und „Burgen“ als Wohnhaus annimmt und dennoch im Verborgenen hilft. Sie leben ebenfalls gerne an Bächen und Flüssen und noch lieber dort wo sie gute Taten vollbringen können.
Gemeint sind die kleinen Waldwichtel. Von ihnen gibt es erstaunlich viele Völker, doch eines ist ihnen allen gemeinsam: sie haben immer Pflanzen und Tiere um sich, mit denen sie eine harmonische Verbindung pflegen.
Heute berichte ich euch von den Waldwichteln, die sich um den Wachtelweizen (Melampyrum) kümmern. Diese zauberhafte kleine Pflanze bat die kleinen Wohltäter um Hilfe, denn sie hatte von Natur aus recht wenige Samen und es war für sie schwer diese jedes Jahr in ein gutes Winterquartier fallen zu lassen. Auch war es für die Pflanze mühsam genügend Nährstoffe zu bekommen.
Wie haben die Waldwichtel nun geholfen? Zuerst sprachen die Wichtel mit den anderen Pflanzen und Bäumen an den Waldrändern. Da der Wachtelweizen nicht sehr geschickt war beim Bilden von Wurzeln, durfte die Pflanze sich nun als Halbschmarotzer vorwiegend bei Fichten und Heidelbeeren andocken und über diesen Weg Wasser und Nährstoffe abzweigen. Wenn voreilige Hände die hübschen Blüten einer Vase zuführen möchten, ist die Enttäuschung schnell da: Durch den Diebstahl von ihrer Wirtspflanze kann sie das Wasser und die Nährstoffe nur sehr kurz behalten und verwelkt sobald die Zufuhr gestoppt ist.
Als der nächste Winter näher rückte, bekam die kleine Pflanze wieder Angst, dass ihre Samen es weiter sehr schwer haben würden. Noch einmal bat der Wachtelweizen die kleinen Waldwichtel um Hilfe. Die Wichtel dachten viele Nächte nach und endlich hatten sie eine grandiose Idee: sie gingen zur Ameisenkönigin. Die Waldwichtel glänzten mit ihrem Verhandlungsgeschick und überzeugten die Königin vom Nutzen der Samen: sie dienen nämlich als Tarnung für die echten Ameiseneier. Seitdem bringen ihre Ameisentruppen die Samen vom Wachtelweizen in geschützte Verstecke, damit im nächsten Frühjahr wieder eine neue Generation von Wachtelweizen heranwachsen kann. Als Dank für ihren Einsatz bekommen die Waldwichtel nun in jedem Herbst die weichen Blätter der kleinen Pflanze um damit ihre Häuser winterfest machen zu können.
Der Wichtelwald an der Brunau
Kunstvoll gebastelte Wunderwelt zwischen Fliegenpilzen und Heidebach
September: In unserer dünn besiedelten Gegend gibt es einige Kleinsiedlungen und Einzelhöfe: Schlüpke zwischen Hermannsburg und Oldendorf oder Twießelhop bei Eversen. Noch viel kleiner ist der „Wichtelwald“ kurz vor der Mündung der Brunau in die Örtze bei Baven. Das Miniaturdorf im Maßstab 1:50 erstreckt sich über eine Fläche von wenigen Quadratmetern in bester Hanglage mit unverbaubarem Blick auf den Heidebach.
Wer seine Nase allzu hoch reckt oder gar in der „Hans-Guck-in-die-Luft“-Manier durch die Landschaft spaziert, kann das Märchendorf allerdings schnell übersehen: Aus Naturmaterialien liebevoll gestaltete Häuschen mit Dächern aus Birkenrinde und bunten Fensterläden; sich entspannende oder werkelnde Wichtel.
Denn das Volk der Waldwichtel hat hier seit 2 Jahren eine neue Heimat gefunden. Niemand weiß, wo sie vorher siedelten und warum sie jetzt bei uns in der Südheide Quartier bezogen haben. Ihre nächsten Verwandten – die Weihnachtswichtel – wohnen ja in den Häusern der Menschen; in den Zwischenwänden fühlen sie sich sicher und geborgen.
Es wird gemunkelt, eine heimische Künstlerin habe das ganze Dorf selbst gebastelt und ständig arbeite sie an neuen Häusern und weiteren Bewohnern. Es lohnt sich also öfter mal vorbei zu schauen.
Tagsüber bewegt sich nichts im Wichtelwald. Wie die viel größeren Trolle aus Skandinavien fallen auch die Wichtel bei Tageslicht in eine eiskalte Starre. Aber was geschieht nachts? Kehrt dann Leben ins Dorf ein? Dank ihrer Winzigkeit könnten sie auf Mäusen reiten oder von einem Eichhörnchen durch die Baumwipfel getragen werden. Bei Regen fänden sie unter Fliegenpilzen Schutz.
Leben sie im Einklang mit der Natur, gehen sie sehr sparsam mit den Nahrungsmitteln um? Schließlich reichen schon wenige Blaubeeren für einen leckeren Kuchen und eine Walderdbeere ist für sie so groß wie eine Wassermelone für uns Menschen.
Welche Verwandtschaft besteht zu den Kobolden, Heinzelmännchen, gewöhnlichen Hausgeistern oder dem Blauvolk der Schlümpfe? Trachtet der böse Zauberer Gargamel danach sie bei nächster Gelegenheit zu verschlumpfen?
Kinderaugen leuchten beim Anblick der liebevoll gestalteten, märchenhaften Kunstwerke aus den Gaben der Natur. Auch die Herzen Erwachsener, die sich emotional im „Herbst ihrer Kindheit“ befinden, erfreuen sich daran. Und wer weiß: Vielleicht tauchen auch weitere Wichtelwälder an Waldrändern entlang der Wanderwege bei uns auf. Man muss nur fest daran glauben ...
Unterwegs auf verwunschenen Pfaden
Ein scheuer Blick aus dem Geäst und ein märchenhaftes Holzhaus
Oktober: Zuweilen sind wir gerne auf fast vergessen Pfaden unterwegs. Diesmal trieb es uns entlang der Kleinen Örtze bei Oerrel auf einem sich verlierenden, nur noch wenigen Menschen bekannten Wanderweg. Vor über 30 Jahren wurde die Sperrwand des künstlich aufgestauten „Hahnenmoorsees“ beseitigt und der See abgelassen. Seitdem fließt die Kleine Örtze wieder in ihrem natürlichen Bachbett und in der Talaue entwickelte sich ein natürlicher Auwald mit schattenspendenden Erlen. Das Gebiet steht seitdem unter Naturschutz.
Als wir etwa die Hälfte der Strecke erkundet hatten, entdeckte meine Tochter auf einem alten, oben abgebrochenen Birkenstamm eine braune, pelzige Kugel. Wir verharrten staunend und beobachteten die atmende Fellkugel. Gemeinsam überlegten wir, welches Tier sich dort oben wohl zu einem Nickerchen versteckt hatte. Mit meiner stets griffbereiten Kamera entstand leise ein erstes Bild von dem Pelzknäuel.
Aber als Jürgen anfing in seinem Rucksack nach der Kamera zu kramen, wurde der scheue Baumbewohner vom störenden Gezippe des Reißverschlusses unsanft geweckt. Schnell war der Kletterer in große Höhen geflitzt und blickte sichtlich ungehalten aus sicherer Entfernung auf uns Störenfriede herab.
Ein seltener Baummarder (Martes martes) schaute noch ein letztes Mal in die Linse meines Objektives und verschwand dann mit einem weiten Sprung in den unübersichtlichen Baumkronen. Diese gut getarnten Tiere hatten wir noch nie in freier Wildbahn erleben dürfen. Einerseits war es ein beeindruckendes Erlebnis, andererseits tat es uns leid, dass wir den Schlaf des nachtaktiven Jägers so unsanft unterbrochen hatten.
Bei Führungen im Otterzentrum Hankensbüttel hatten wir bereits viel über diese flinken und gewandten Kletterer gelernt. In diesem Naturerlebniszentrum kann man bestaunen, wie der Baummarder seine Hinterbeine um bis zu 180° dreht und so kopfüber die Bäume herunterklettert. Außerdem kann der Marder seine Krallen nicht einziehen, was ihm bei seinen waghalsig anmutenden Sprüngen durch die Baumkronen zusätzlich Sicherheit gibt. Sein Bewegungsapparat ermöglicht ihm diese wahrlich famosen Kletterkünste.
Mit diesen Fähigkeiten ist er das einzige Raubtier, dass sogar ein flinkes Eichhörnchen in den Baumwipfeln erbeuten kann! Für diese Jagdtechnik muss er allerdings sehr viel Energie aufwenden und so ist sie nur selten zu beobachten. In Deutschland kann sein Gefährdungsstatus nicht abschließend geklärt werden, weil vom scheuen Baummarder nur wenige Beobachtungen dokumentiert sind.
Unser Naturerlebnis konnten wir zum Ende der Wanderung bei einem Besuch im märchenhaften „Hexenhaus“ mit der freundlichen, alten Bewohnerin teilen, die uns ihr mit Liebe und Fantasie eingerichtetes Holzhaus zeigte.
Wir Erwachsenen waren fasziniert von der Sammlung liebgewonnener Gegenstände und den gepflegten Tierpräparaten auf Balken und in Nischen an Wänden und Decke. Meine Tochter hatte eher ein gruseliges und mulmiges Gefühl zwischen diesen glasäugigen, toten Gesellen im Wohnzimmer. Sie fühlte sich in der Küche wohler, da es dort nach Kräutern und Keksen duftete. Der große Kachelofen spendete wohlige Wärme und durch die Buntglasfenster funkelten die letzten, herbstlichen Sonnenstrahlen eines herrlichen Tages.
Es geht weiter ...
Weitere Naturentdeckungen folgen alle paar Monate, sobald sie erlebt, fotografiert, aufgeschrieben, recherchiert, umgeschrieben, getextet, diskutiert, redigiert, gegengelesen, lektoriert und korrigiert sind.










