Mausbesetzer, Baummarder und Co. – Fundstücke des Jahres 2025
Jürgen Eggers und Kristina Basenau – NABU Hermannsburg/Faßberg e.V.
In unserer schnelllebigen Zeit ist ständige Erreichbarkeit zum Fluch geworden. Da hilft Bewegung in der freien Natur bei der „digitalen Entgiftung“, wenigstens für ein paar Stunden. Zum Glück gibt es tief in den Wäldern nur vereinzelte Empfangsinseln und viele Zonen ohne „Balken“ auf dem Display. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass das unentbehrliche Smartphone in ein tiefes Funkloch fällt und es gibt dort ja kein Netz, um es noch aufzufangen. Außerdem sollten im Wald nur Hunde stets online gehen, daber daraus sollte man ihnen keinen Strick drehen.
Die Geschwindigkeit der Bewegung lässt uns die Natur unterschiedlich wahrnehmen: Wer durch den Wald läuft, sieht Bäume an sich vorbeifliegen und hört im Herbst das Laub unter den Füßen rascheln. Fuchs und Hase nehmen dann allerdings Reißaus.
Beim Wandern tun wir Gutes für unseren Kreislauf und hören die markanten Rufe von Mäusebussard, Schwarzspecht und Kolkrabe. Würzig duftende Kräuter am Wegesrand wecken unsere Neugier.
Eine moderne Form des Schlenderns ist das in Japan sogar als Therapieform bekannte „Waldbaden“: Mit allen Sinnen die Natur bewusst wahrnehmen und so der Hektik des Alltags entfliehen. Und „Waldbademeister“ bieten auch bei uns in der Südheide kostenpflichtige Kurse an.
Und wer noch mehr Ruhe finden möchte, setzt sich einfach eine halbe Stunde auf den Waldboden und lehnt an einen alten Baumstamm. So lässt sich die Natur besonders intensiv erleben: Käfer krabbeln durchs Gras, eine Maus hastet ängstlich über den Waldboden und das kaum wahrnehmbare Sirren der Wintergoldhähnchen erfreut uns in höchsten Tönen …
Tote können nicht reden, aber viel erzählen
Januar: Im Winter kehrt Ruhe in die Natur ein. Bäume und Sträucher verlieren ihre Blätter, die oberirdischen Teile der meisten Gräser sterben ab und geben damit den Blick auf den Waldboden frei. Bei einem Waldspaziergang am Steilufer einer Schleife der Örtze bei Wolthausen machen wir einen grausigen Fund: Das Skelett eines Tieres liegt als Bausatz zwischen den Blaubeersträuchern. Allerdings nur der abgetrennte Schädel – Rumpf, Gliedmaßen und die anderen Puzzleteile fehlen. Also eigentlich eine Entdeckung ohne Hand und Fuß.
Der Größe nach könnte es mal ein junges Reh gewesen sein, aber Zahnstellung und Kieferknochen erinnern mehr an Dachs, Waschbär oder Biber.
Warum also nicht das geballte Schwarmwissen anzapfen? Eine sachkundige virtuelle Gemeinschaft, die anhand von Fotos Tieren und Pflanzen ihre Namen zurück gibt, kommt zum eindeutigen Ergebnis: Nutria (Myocastor coypus). Hätten wir das also geklärt.
Spezialisten können am Fundort viel über das ehemalige Lebewesen heraus finden:
- Seit wann liegt der Kadaver hier?
- Wie alt war das Tier?
- Starb es an Altersschwäche oder wurde Opfer eines Beutegreifers?
- Beendete ein unpräziser Schuss aus einer Jagdflinte seine irdische Existenz?
- Passt der Fundort zum natürlichen Lebensraum?
Das sind nur einige Fragen, die uns dazu in den Sinn kommen.
Welche biologische Bedeutung haben eigentlich Tierkadaver im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen? Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten, den laut EU-Recht müssen Tierkadaver aus der freien Natur beseitigt werden, damit sich keine Krankheitserreger verbreiten können. So jedenfalls die Befürchtung. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, wurden in einem Forschungsprojekt Tierkadaver im Nationalpark Bayerischer Wald liegen gelassen und der natürlichen Verwesung überlassen. Schnell sind Heerscharen von Fliegen da und legen ihre Eier im Kadaver ab. Deren Larven verspeisen später schon mal eine ganze Portion.
Es folgen Kolkrabe und Bussard, die auch totes Fleisch nicht verschmähen. Schließlich zieht der Geruch Wildschwein, Dachs, Fuchs und Wolf an, die sich große Stücke rausreißen. Am Ende bauen Pilze und Bakterien die verwertbaren Reste ab und lassen nur das Knochengerüst übrig. Viele Arten, vom Käfer bis zum Geier, sind auf totes Fleisch spezialisiert und brauchen laufend Nachschub. Im Endeffekt spenden Kadaver neues Leben und erhöhen die Vielfalt in der Natur.
Der Tod ist in unserer modernen, ständig auf Wachstum eingestellten Gesellschaft ein Tabu. In der Epoche der Romantik zwischen den Jahren 1795 und 1835 war das noch anders. Damals galt der Totenschädel als Symbol für den Kreislauf des Lebens und Erinnerung an die eigene Sterblichkeit. Das hatte seinen Ursprung im antiken Rom, wo der Ausspruch «Memento mori» („Bedenke, dass du sterben wirst“) geprägt wurde. Noch heute kennen wir mehr das «Carpe diem» („Nutze die knappe Lebenszeit“).
Wer das Unterlüßer Albert-König-Museum besucht, findet auf dem Schreibtisch des ehemaligen Künstlerateliers einen menschlichen Totenschädel. Natürlich sollte man auch die Kunstwerke an den Wänden bestaunen – es lohnt sich.
Trauriger Abschied von der 120-jährigen Hofbuche
März: Bäume begleiten uns auf vielfältige Weise: als Möbelstück, als Buch, als Kleidung (Viskose), als Lebensmittel (Bucheckern), im Garten, an der Straße und natürlich im Wald. Überlieferungen und Forschung belegen, dass uns in Europa die Buchen schon immer vertraut gewesen sind. So wurden zum Beispiel zur Zeit der Kelten für die Übermittlung kurzer Nachrichten zwischen Schreibkundigen Buchenstäbe genutzt.
Herbstliche Bucheckern und frische, helle Frühlingsblätter bereichern seit langem unseren Speiseplan. Wenn ich an einen alten Buchenwald denke, fällt mir dazu der Begriff der „Heiligen Hallen“ ein. So gibt es in Mecklenburg ein einmaliges Naturwaldreservat mit diesem Namen mit 350 Jahre alten Buchen. Wer nicht so weit fahren möchte um ein vergleichbares Erlebnis eines Naturwaldreservat zu spüren, kann zwischen Unterlüß und Weyhausen ein etwas kleineres Schutzgebiet erkunden.
Alter und Größe der Bäume lassen uns erahnen, was sie in ihrem Baumleben bereits mit der manchmal aufdringlichen Nachbarschaft ertragen haben. Besonders deutlich fällt das Lebensalter von Baumriesen allerdings erst auf, wenn sie alleine, auf dem Dorfplatz oder am Ortseingang stehen.
Vermutlich über 120 Jahre alt ist eine auffällige Rotbuche (Fagus sylvatica) in Beckedorf. Jahrzehnte war sie für die Hofbesitzer des Brauelshofes und ihre Gäste ein markantes Zeichen an der Hofeinfahrt. Bei unserem Gespräch mit dem Hofbesitzer berichtete er, dass diese Buche für seine Mutter in ihrer Kindheit ein Treffpunkt für Spielverabredungen war.
Der Autoverkehr war Mitte der 1960er Jahre deutlich geringer, auch war die Landstraße durch Beckedorf damals viel schmaler und Radfahrer mussten sich die Fahrbahn mit den Autos teilen. Für den heutigen Hofbesitzer Sebastian und seine Brüder führte an der Rotbuche ein wichtiger Weg entlang: in schneereichen Wintern zogen sie ihre Schlitten an dem Baumriesen vorbei zum Beckedorfer Rodelberg.
Eine weitere wichtige Funktion erfüllte der Stamm der Rotbuche als örtliches Mitteilungsblatt: Einladungen und Ankündigungen zu Scheunenfeten, Osterfeuern und andere wichtige Ereignisse im Dorf wurden dort plakatiert. Selbst nach der Baumfällung sind noch alte Nägel und Reißzwecken zu entdecken.
Was in so manchen Orten die Gerichtslinde war, erledigte diese Buche im „Vorbeigehen“ und mir schien es, als würde der Baum jemandem zuwinken. Einer der älteren, mächtigen Äste war durch seinen urtümlichen Wuchs fast wie ein angewinkelter Arm geformt. Selbst die schmaleren Äste wirkten wie Finger; immer, wenn ein kräftiger Wind durch die Äste rauschte, grüßte der Baum fast königlich mit seinem „Arm“ die vorbei wandernden Menschen.
Weitere Fragen bewegten uns ebenfalls: Wurde der Baum vielleicht anlässlich der Geburt seiner Urgroßmutter im Jahr 1901 gepflanzt? Kein abwegiger Gedanke, wenn man an traditionell zur Geburt gepflanzten Bäume denkt oder aber z.B. an die Hochzeitsbäume in Müden. Eines ist jedoch sicher: die winkende Heimatbuche hat zwei Weltkriege überstanden. Und wer weiß von welchen Menschen sie uns berichten könnte, die sich ihr ebenfalls verbunden gefühlt haben? Vielleicht von Reisenden, die sich auch gegrüßt fühlten? Oder von zurückkehrenden Soldaten, die in Freudentränen ausbrachen, als sie den Heimatbaum sahen?
Was auch immer sie als Leser sich vorstellen können … Erzählen sie anderen ihre Baumgeschichten. Nur so bleiben alte Bäume auch in uns lebendig. Leider konnte die mächtige Rotbuche uns eine Geschichte erst zu spät erzählen:
Die Leidensgeschichte durch den Befall mit dem Riesenporling. Dieser Weißfäulepilz hat dem Heimatbaum so viel Schaden zugefügt, dass er so dicht an der Straße nicht mehr verweilen durfte. In diesem Frühjahr ist der starke Baumriese durch noch stärkere Sägen zu Fall gebracht worden. Und ja, sicher waren nicht nur die Besitzer des Hofes traurig über dieses erzwungene Ableben des Baumes.
Doch das Opfer soll nicht einfach dem Verfall anheimgegeben werden. Es werden nun Ideen gesucht, was aus dem mächtigen Stamm und den starken Ästen gemacht werden kann. Baumriesen haben es verdient ein zweites „Leben“ zu erhalten, ob als Möbelstück, Kunstwerk oder ... Hier ist die Kreativität unserer Leserschaft gefragt! Wer also etwas von seinen Ideen beisteuern möchte, melde sich bitte bei uns oder auf dem Brauelshof.
Scheue Sonnenanbeterin mit giftigem Biss
März: Die ersten nach Frühling schmeckenden Tage locken uns zu einem Ausflug in ein interessantes Waldgebiet. Die Sonne wärmt angenehm die Haut und weckt die Natur sanft aus dem Winterschlaf. Am Übergang zu einem Moorgebiet entdecken wir an einem einsamen Wegesrand eine eingerollte Schlange. Eine Kreuzotter (Vipera berus) liegt versteckt unter einem Fichtenzweig und tankt lebensspendende Sonnenenergie. Das wechselwarme Reptil braucht die Wärme, um sich zu bewegen.
Morgens und am späten Nachmittag nehmen die bei uns vom Aussterben bedrohten Tiere deswegen ausgiebige Sonnenbäder. Um möglichst viel Energie zu tanken, spreizen sie ihre Rippen und verdoppeln mit dieser Technik die Oberfläche ihrer „Sonnenkollektoren“. Die kalten Wintermonate überleben Kreuzottern in Winterstarre – oft in Gesellschaft mit Artgenossen – frostsicher in Hohlräumen des Waldbodens. In diesem Zustand sind sie freilich schutzlos und werden zuweilen Opfer wühlender Wildschweine. Wir halten respektvoll Abstand, nicht aus Angst vor einem giftigen Schlangenbiss, sondern um das Reptil nicht unnötig in die Flucht zu schlagen. Schließlich sind wir nur Gast in der „Wohnstube“ der Tiere.
Eigentlich ist ihr Biss immer tödlich giftig, falls Sie sich als Eidechse, Maus, Frosch oder Waldwichtel identifizieren. Um einen gesunden erwachsenen Menschen in die ewigen Jagdgründe zu befördern, braucht es mindestens die 5-fache Giftmenge. Zum Nahrungserwerb durch Totbeißen lauert ein Kreuzotter regungslos ihrer Beute auf. Kommt eine sich bewegende Mahlzeit dann in ihre Nähe, kann das beinlose Reptil durch Züngeln – eine Kombination aus Riechen und Schmecken – das Opfer aufspüren und mit einem blitzschnellen Biss zur Strecke bringen. Kolkrabe und Igel sind wiederum ihre größten natürlichen Feinde. Igel sind sogar immun gegen ihr Nervengift.
Die sehr unterschiedlich gefärbten Schlangen mit dem charakteristischen Zickzack-Band auf dem Rücken kriechen in einem riesigen Gebiet, von England im Westen über das gesamte nördliche Russland bis nach Sachalin im Osten Asiens, über den Erdboden. Da die Eier vom Weibchen im Körper ausgebrütet werden, können sie auch kältere Regionen der Erde besiedeln. Seltsamerweise meiden die Tiere das Sauerland und viele andere westlichen Mittelgebirge, obwohl der Lebensraum passend wäre. Die Erklärung: „Schlangen haben auch ihren Stolz.“ gehört doch wohl ins Reich der Mythen?
Es ist auch keine gute Idee nach einem Schlangenbiss die Wunde auszusaugen, denn Keime könnten dann eine Infektion auslösen. Wenn der saugende Ersthelfer auch noch ein Vampir ist, wird es richtig gefährlich. Übrigens: Eine Namensverwandtschaft lässt nicht automatisch auf eine biologische Verwandtschaft schließen. Denn was verbindet Kreuzottern mit Fischottern oder gar Eidottern?